Warum und wie die Karl Marx ihre Eigentumswohnungen abgibt
Die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ verkauft 397 Eigentumswohnungen. Wir wollten wissen, warum sie das tut und wie der Verkauf vor sich gehen soll, wie die Rechte der Mitglieder dabei gewahrt werden und woher die Eigentumswohnungen eigentlichen kommen. Stadtspuren-Koordinator Carsten Hagenau traf die Vorstände der Karl Marx Bodo Jablonowski und Sebastian Krause und fragte sie nach Hintergründen und Details.
Carsten Hagenau: Herr Jablonowski, Herr Krause, warum wollen Sie die 397 Wohnungen verkaufen?
Sebastian Krause: Wir müssen und wollen uns auf die Entwicklung des genossenschaftlichen Wohnungsbestandes konzentrieren. Die Anforderungen an die Bestandsentwicklung sind deutlich anspruchsvoller geworden. Aktuell wird die Genossenschaft von der Energie- und Wärmewende stark gefordert. Gleichzeitig ist die Erneuerung der Versorgungsstränge in allen Gebäuden über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten notwendig geworden. Hinzu kommen die punktuelle Anpassung des Bestandes auf die Bedürfnisse der immer älter werdenden Nutzerschaft, gleichzeitig auch die Herrichtung familienfreundlicher Wohnungen für Mehrpersonenhaushalte.
Bodo Jablonowski: Durch den Verkauf der Eigentumswohnungen ersparen wir den Einsatz von Liquidität im zu veräußernden Eigentumswohnungsbestand und stärken durch die Verkaufserlöse gleichzeitig die Liquidität für den verbleibenden genossenschaftlichen Gesamtbestand.
Carsten Hagenau: Stehen diese Aufgaben nicht auch in den Gebäuden an, in denen die Wohnungen liegen, die Sie verkaufen wollen?
Sebastian Krause: Auch hier steht der Gebäudebestand vor den gleichen aktuellen Herausforderungen wie der Gesamtbestand der Genossenschaft, natürlich. Die Bewältigung obliegt den Eigentümergemeinschaften, in denen wir perspektivisch nicht mehr vertreten sind.
Bodo Jablonowski: Wir sehen unsere Möglichkeiten eingeschränkt, notwendige Investitionen in den neun Wohnungseigentümergemeinschaften zu steuern und zu planen. In den Eigentümergemeinschaften verfügen wir nur über begrenzte Stimmrechte. Wir sind hier – wie die anderen – Eigentümer einzelner Eigentumswohnungen, nicht die große, stadtweit präsente Genossenschaft mit tausenden Wohnungen und Tausenden von Mitgliedern. Für Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum benötigt es immer Mehrheiten unter den Eigentümern, wir haben also nur begrenzten Einfluss auf die Investitionen und sind immer abhängig von den Miteigentümern.
Carsten Hagenau: Wann geht es mit den Verkäufen los? Wann werden Sie fertig sein?
Bodo Jablonowski: Die ersten freien bzw. freiwerdenden Eigentumswohnungen sollen im zweiten Halbjahr 2025 angeboten werden. Wir rechnen damit, dass der Verkauf aller Eigentumswohnungen mindestens zehn Jahre brauchen wird.
Carsten Hagenau: Wieso rechnen sie damit, dass der Verkauf zehn Jahre in Anspruch nehmen wird?
Sebastian Krause: Wir haben uns dazu verpflichtet, dass wir jedem Bewohner einer solchen Wohnung, der nicht selbst kaufen will, oder dessen nächsten Verwandte die Wohnung nicht kaufen wollen, drei gleichwertige Wohnungen im Bestand der Genossenschaft als Alternative anbieten. Bei der geringen Fluktuation, die wir derzeit haben, wird es ein Menge Zeit brauchen, bevor wir nach und nach die Angebote unterbreiten können.
Bodo Jablonowski: Wir haben da keine Eile und wollen den Verkauf in der gebotenen Ruhe und Sorgfalt angehen. Wir lassen uns Zeit, um uns gründlich um die Belange der Nutzer, Interessenten und anderen Mitglieder zu kümmern. Und wir wollen keinen Druck ausüben. Insbesondere für ältere Bewohner ist dies eine herausfordernde Situation - wir wollen hier sehr behutsam vorgehen.
Carsten Hagenau: An wen wollen Sie denn verkaufen?
Bodo Jablonowski: Wir beginnen noch in diesem Jahr mit dem Verkauf leerstehenden Wohnungen. Die bieten wir zuerst unseren Mitgliedern an.
Carsten Hagenau: Zu welchem Preis werden Sie veräußern?
Bodo Jablonowski: Die Wohnungen werden zu ortsüblichen Marktpreisen verkauft, die extern ermittelt werden.
Carsten Hagenau: Nehmen wir an, die Mitglieder kaufen nicht. Was passiert dann?
Bodo Jablonowski: Wir bieten jede Wohnung einzeln an. Sollte sich für eine Wohnung kein Interessent in der Mitgliedschaft finden, wird sie an andere Privatpersonen veräußert.
Carsten Hagenau: Ist ein Verkauf im Block denkbar – also alle Wohnungen an einen Investor? Oder 50 an einem Standort an einen Käufer?
Sebastian Krause: Das ist komplett ausgeschlossen. Erstens verkaufen wir nur einzelne Wohnungen, zweitens verkaufen wir nur an Privatpersonen, auf keinen Fall an Unternehmen. Am Ende wird es 397 neue Wohnungseigentümer in der Stadt geben.
Carsten Hagenau: Im besten Fall sind die leerstehenden Wohnungen irgendwann verkauft. Danach kommen die bewohnten Wohnungen dran, richtig?
Bodo Jablonowski: Bewohnte Eigentumswohnungen werden zuerst den Bewohnern angeboten. Verzichten diese, dann können dessen Verwandte 1. Grades die Wohnung erwerben. Das sind beispielsweise die Eltern oder die Kinder des Bewohners. Wird auch dies nicht gewünscht, wird die Wohnung anderen Mitgliedern angeboten. Erst danach können auch Nichtmitglieder zum Zuge kommen, aber immer nur natürliche Personen.
Carsten Hagenau: Das klingt kompliziert. Einfach gesagt: Erst Bewohner, dann nahe Verwandte, dann Mitglieder, dann vielleicht Fremde.
Bodo Jablonowski: Genauso: Bewohner und unsere Mitglieder zuerst. Wir sind schließlich eine Genossenschaft!
Carsten Hagenau: Und wenn die Bewohner oder deren Verwandte nicht kaufen wollen: Müssen die dann ausziehen?
Sebastian Krause: Sollte sich der Bewohner entscheiden, in der Wohnung zu bleiben, die an einen Dritten veräußert wird, bleibt er geschützt: Im Kaufvertrag wird eine Kündigung, u. a. wegen Eigenbedarfs, für fünf Jahre ausgeschlossen und ein Mieterhöhungsverzicht für fünf Jahre gesichert.
Carsten Hagenau: Wenn das dem Bewohner nicht zusagt, unterstützt die Genossenschaft auch einen Umzug?
Sollte sich ein Bewohner entscheiden, lieber umzuziehen, wird er in seinen Rechten ebenfalls geschützt. Wir werden in diesem Fall eine gleichwertige Wohnung in unserem Bestand vermitteln. Hierzu werden wir den betreffenden Bewohnern drei gleichwertige Wohnungen vorschlagen. Sollte das Grundnutzungsentgelt (Kaltmiete) pro Quadratmeter der ehemaligen Wohnung geringer sein als das in der neuen Wohnung, wird dieses in alter Quadratmeterhöhe nach Maßgabe der ehemaligen Wohnungsfläche über einen Zeitraum von fünf Jahren in der neuen Wohnung fortgeschrieben.
Carsten Hagenau: Aber ein Umzug ist teuer...
Sebastian Krause: Wir übernehmen auch die umzugsbedingten Kosten in angemessener Höhe.
Carsten Hagenau: Woher kommen die Eigentumswohnungen eigentlich? Oder anders gefragt: Wieso hat die Genossenschaft Eigentumswohnungen?
Bodo Jablonowski: Die Geschichte reicht bis in die 90er Jahre zurück. Die Karl Marx trat am 1. Juli 1990 in die Marktwirtschaft mit einem Berg von Schulden aus der DDR-Zeit ein. Vor der Wende hat der Staat die Wohnungen finanziert. Die Genossenschaft übernahm sie und zahlte sie bei der Staatsbank der DDR nach und nach ab. An die Stelle der DDR trat als Rechtsnachfolger die BRD, dort landeten auch unsere Schulden. Im Jahre 1993 erließ der Bund das Altschuldenhilfegesetz, um die Situation der ostdeutschen Wohnungswirtschaft zu entspannen. Das Gesetz besagte, einfach zusammengefasst: Ihr verkauft 15 Prozent Eurer Wohnungen, wir erlassen Euch dafür teilweise nach den gesetzlichen Vorgaben Eure Schulden. Die Genossenschaft hat dann insgesamt 1.126 Wohnungen in Wohnungseigentum umgewandelt, um diese entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu veräußern.
Carsten Hagenau: Und die 397 Wohnungen, die heute zur Disposition stehen, sind der Rest davon?
Bodo Jablonowski: 1999 änderte sich die Gesetzeslage und wir mussten den Verkauf der hierfür begründeten Eigentumswohnungen nicht im ursprünglich geplanten Umfang weiterführen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits 729 Wohnungen privatisiert. Die 397 Wohnungen, die schon für den Verkauf vorbereitet und in Eigentumswohnungen gewandelt waren, konnten wir behalten. Im März 2001 haben wir auch die Bestätigung erhalten, dass wir die Auflagen des Altschuldenhilfegesetzes von 1993 erfüllt haben.
Carsten Hagenau: Auf welcher Grundlage handeln Sie beide eigentlich? Das haben Sie sich doch nicht alles selbst zurechtgelegt?
Sebastian Krause: Vorstand und Aufsichtsrat haben lange an dem Thema gearbeitet, die Vor- und Nachteile abgewogen und darüber nachgedacht, wie das im Interesse der Genossenschaft im Ganzen wie auch im Interesse der Bewohner und der Mitglieder geregelt werden kann. Einen entsprechenden Beschluss hat auf Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat die Vertreterversammlung am 25. Juni 2025 gefasst.
Bodo Jablonowski: Die Vertreterversammlung ist das von den Mitgliedern gewählte Organ der Genossenschaft. Und auch hier ist das Thema sehr gründlich, sehr verantwortungsvoll und auch kontrovers diskutiert worden. Letztendlich sind die gewählten Vertreter mehrheitlich dem Vorschlag von Aufsichtsrat und Vorstand gefolgt.
Sebastian Krause: Schon zuvor, im Mai 2025, haben Vorstand und Aufsichtsrat detaillierte Regeln beschlossen, wie die Wohnungen zu veräußern sind. Diese Regularien sichern die Interessen der Bewohner der Wohnungen und darüber hinaus die der Mitglieder der Genossenschaft. Überdies dienen sie der Transparenz der Verkaufsvorgänge.
Carsten Hagenau: Sie wollten nicht, dass die Bewohner und Mitglieder vom geplanten Verkauf aus der Presse erfahren.
Sebastian Krause: Der Vorstand hat seit dem 17. Juli mit individuellen Briefen alle betroffenen Bewohner, die anderen Eigentümer und alle Mitglieder der Genossenschaft informiert. Sowohl über die Beschlusslage als auch über die Regularien des Verkaufs. Erst am 19. Juli haben wir die Medien informiert, weil wir annehmen konnten, dass alle ihre Briefe dann bereits erhalten haben. Die Pressemitteilung haben wir zudem auch auf unserer Homepage veröffentlicht.
Carsten Hagenau: Warum war Ihnen das wichtig?
Bodo Jablonowski: In der erwähnten Vertreterversammlung wurde auch vorgetragen, dass die Entscheidung über den Verkauf bei uns als Genossenschaft liegt. Das sind unsere Eigentumswohnungen und wir entscheiden, was mit denen wird. Deshalb wollten wir erst an die Öffentlichkeit gehen, wenn wir in unseren Reihen im Reinen sind.
Carsten Hagenau: Wird es weitere Informationsangebote geben?
Sebastian Krause: Ab September haben Betroffene die Möglichkeit, sich im direkten Gespräch mit den zuständigen Mitarbeiterinnen der Genossenschaften im Detail zu informieren und beraten zu lassen. Im Laufe des Prozesses werden wir unsere Mitglieder immer wieder und regelmäßig über den Stand der Dinge informieren.
Das Interview als PDF-Dokument.